Die Lahn
Stromschnellen,
Bootsgassen, Untiefen, Do-it-yourself-Schleusen... Die Lahn hatte
so ziemlich alles parat, was eine zünftige ROWdies-Tour ausmacht.
Vom 16. bis 23. Juli waren sieben KRR-Ruderer auf großer Sommerwanderfahrt.
Es war eine Fahrt mit erstaunlichen Erkenntnissen und epochemachenden
Ereignissen. Die 137 Kilometer Lahn waren einzigartig.
Was für
eine geniale Erfindung! Diese Bootsgassen sollte es überall
geben. Nur mit ihnen kann man ein Wehr so bequem überwinden
- ohne Aussteigen und Umtragen. Dabei handelt es sich um Wasserrutschen
für Sportboote. Während das meiste Flußwasser das
Wehr hinunterrauscht, wird der Rest in die "Rampe" umgeleitet.
Mit dem Boot fährt man vorsichtig vor die Gasse, bis die starke
Strömung das Boot erfaßt und mit sich nach unten zieht.
Klar, daß das nur bergab ohne Probleme funktioniert. (Am besten einfach mal mit dem
Mauszeiger auf die Bilder links und rechts klicken, dann seht Ihr
schon, wie´s funktioniert!)
Ohne Wehmut
ließen wir Deutschlands schönstes Bootshaus hinter uns,
um neue Abenteuer zu bestehen. Doch, ach, was sind schon schräg
verlaufende Wehre, Stromschnellen und Steine schmeißende Kinder
am Ufer, schlechtes Wetter und unfreundliche Kanufahrer gegen das
Ereignis, das Millionen Teenager in die Verzweiflung und in die
Arme der Kelly-Family trieb: Robbie stieg bei Take That aus. Das
Ausmaß dieser Entscheidung wurde uns erst bewußt, als
wir die Schlagzeilen der Zeitungen sahen. Der britische Teeny-Barde
mit der Igelfrisur hatte anscheinend genug von Ruhm, Geld, schnellen
Autos und was sonst noch so dazu gehört, wenn man sich vor
100.000 kreischenden Mädels auf eine Bühne stellt und
Sachen singt wie "Zünd mein Feuer wieder an", "Sicher,
so sicher" oder "Neugeborenes, da bin ich wieder". Einen Moment
lang überlegten wir, ob wir die ROWdies-Tour aufgrund der sich
überschlagenden, epochemachenden Ereignisse nicht abbrechen
sollten, um Eremiten zu werden. Zwei Dinge sprachen dagegen: Weilburg
ist ein schönes Städtchen und was geht uns irgend so ein
Engländer an, der, ohne auf die Minderjährigen dieser
Welt Rücksicht zu nehmen, einfach sein Leben leben will. Soviel
zu diesem unsäglichen Kapitel der Weltgeschichte, über
das wir ganz schnell den purpurnen Mantel des Vergessens breiten
wollen.
Obwohl
sich der abtrünnige Robbie in der vergangenen Nacht nicht dazu
entschlossen hatte, zu Take That zurückzukehren, ging am nächsten
Morgen wieder die Sonne auf. Von der Stadt der Riesenpizzen fuhren
wir in die Stadt des berühmten Käses, dachten wir jedenfalls.
Zunächst war da aber der Tunnel, durch den die Lahn eine Abkürzung
macht, anstatt umständlich um den Berg, auf dem Weilburg liegt,
herumfließen zu müssen. 200 Meter geradeaus durch eine
stockdunkle nasse Röhre - was für ein Erlebnis. Auf der
anderen Seite lachte bereits die Sonne (über wen, ist nicht
bekannt). Ihr gleißendes Licht sollte den Auftakt zu einer
nicht enden wollenden Hitzeperiode bilden. Die Sonne
brüllte vom Schäfchenwolkenhimmel, zeigte sich unerbittlich
im Willen, unsere Haut zu bräunen. Schleusen forderten harte
Muskelarbeit. Die unzähligen Schleusen im oberen Lauf der Lahn
muß jeder Freund des Wassersports selbst bedienen. Spätestens
nach der zehnten Schleuse konnten wir im Schlaf die Schleusentore
schließen, die Schotten öffnen und über die glitschigen
Eisenleitern ins Boot zurückzusteigen. Irgendwo zwischen zwei
Schleusen passierte es dann. Die Kanu fahrende Schulklasse, die
schon eine ganze Zeit die Nerven der gefahrenerprobten ROWdies belastete,
sorgte für Abwechslung. Des Manövrierens vollkommen unfähig,
trieb ein mit drei gackernden Mädels besetztes Kanu im Lahnstrom
mit. Nicht nur, daß sie ihre Paddel verloren hatten, nein
sie sind auch noch gekentert beim Versuch, sie wieder einzuholen.
Die ROWdies wären aber nicht die ROWdies, wenn sie nicht laut
lachend vorbeigefahren wären. (Allen entsetzten Eltern sei
an dieser Stelle gesagt, das Wasser war knietief.) Edel ist
das Wort, das zum Limburger Ruderklub paßt. Nagelneu ist es,
groß und schön. Die Besitzer (ebenso edle Ruderer) hielten
es für nötig, eine Haus- und Besucherordnung für
Übernachtungsgäste aufzustellen. Der Informationsgehalt
des deutlich sichtbar ausgehängten Papiers war banal (Wenn
man es schlicht auslegt, war eigentlich alles verboten). Es paßte
aber perfekt zum Zahlenschloss-codierten Kraftraum (vermutlich mit
goldenen Hanteln, Handtüchern aus Cashmere und Daunenmatratzen
für Bodenübungen) und dem Duschraum, der nur gegen Bezahlung
warmes Wasser lieferte. Wir haben es geschafft, nichts kaputt zu
machen.
Wir wissen
jetzt, wie Schleusenwärter aussehen. Es gibt große, kleine,
mit Brille, Bauch oder Bart, freundlich, grummelig - auf jeden Fall
haben sie den ruhigsten Job der Welt. Mit zwei Knopfdrücken
regeln sie, ob das Wasser steigt oder fällt. Zum Schleusenzählen
war es aber zu heiß. Um es deutlich zu sagen: Jeder Ruderer
trank an diesem Tag mindestens vier Liter Wasser, war am Ziel aber
rund drei Kilo leichter. Die Strapazen, die wir auf uns nahmen,
durch das sonnendurchflutete Lahntal zu keulen, kann sich niemand
erklären. Es muß einfach fanatische Liebe zum Rudersport
sein, ein bißchen Ehrgeiz, nicht vor den Naturgewalten kapitulieren
zu wollen, und jede Menge Muskeln (auch Lachmuskeln, denn es ist
ja nun nicht so, daß wir nie was zu lachen haben). Die Kilometer
krochen nur so dahin, Schatten war tabu, schöne Salzringe bildeten
sich dort, wo der Schweiß verdunstete. Irgendwann kam der
Punkt, an dem einem alles egal ist, wenn sich die Finger nur noch
mit Schmerzen strecken lassen, der Nacken krebsrot leuchtet und
Leute kopfschüttelnd am Ufer stehen.
Lächerlich,
nichtmal ein Dutzend Kilometer warteten auf uns. Ganz entspannt
fuhren wir die letzte Etappe zu dem Ort, an dem die Lahn in den
Rhein mündet und der gleichzeitig Ziel und Ende der ROWdies-Tour
war. Es war nicht viel kühler als am Tag zuvor, und jeder wünschte
sich nichts sehnlicher, als daß die Boote möglichst schnell
auf den Hänger verladen würden. Mit dem Auto fuhren wir
zurück nach Bad Ems, weil wir in Lahnstein kein Quartier bekommen
hatten. Dort machten wir es uns wieder auf dem Steg gemütlich.
In einer Diskussion über berufliche Pläne überraschte
Andreas Schulte mit der verblüffenden Aussage, später
einmal "Boß" studieren zu wollen. Der Herrschaftstrieb
ging wieder mit ihm durch und der erste Vorsitzende schwelgte in
wirren Zukunftsphantasien. Derart erstaunliche Erkenntnisse verwundern
nicht, wenn man bedenkt, daß Andreas' Schädel zwei Tage
hintereinander sengender Hitze ausgesetzt war und die Hirnmasse
heftig gebrodelt haben muß. Die ROWdies-Tour
ging zu Ende. Nach unwesentlichen Querelen mit dem Autoverleih,
die uns nur drei Stunden aufhielten, fuhren wir gerade noch rechtzeitig
Richtung Norden. Ein Unwetter noch nie dagewesenen Ausmaßes
habe die gesamte Region unter Wasser gesetzt, erfuhren wir aus dem
Autoradio. Perfektes Timing - passend zu einer perfekten Tour, die
zwar nicht so wild war wie die drei vorangegangenen, aber trotzdem
eine echte ROWdies- Tour. Christian Kohlhof (Artikel aus "KRR aktuell"
Nr. 11, Heft 12/1995) |