Fahrtenemblem 1995Die Lahn


Stromschnellen, Bootsgassen, Untiefen, Do-it-yourself-Schleusen... Die Lahn hatte so ziemlich alles parat, was eine zünftige ROWdies-Tour ausmacht. Vom 16. bis 23. Juli waren sieben KRR-Ruderer auf großer Sommerwanderfahrt. Es war eine Fahrt mit erstaunlichen Erkenntnissen und epochemachenden Ereignissen. Die 137 Kilometer Lahn waren einzigartig.

Sonntags gings los. Es war eine Fahrt in den Regen. Das Wetter paßte zum Fahrtziel: Gießen. Mit zwei Autos und einem Hänger fuhren wir dorthin. Nur in Gießen selbst war gutes Wetter. Man konnte sogar draußen sitzen. Eine arg lispelnde Bedienung sorgte für gute Laune: Im PitsaHut von Giefsen befstellten wir ein grofses Sfpezi, eine Pitfsa Margherita mit ekfstra viel Ananfs und viele andere schöne Sfachen (alle mit S). Im Jugendraum des Gießener Ruderklubs Hassia schliefen wir dem Start der Wanderfahrt entgegen.


Gießen - Wetzlar (16 km)

Jiiiipppiiiieeehhh!

Echt prakisch diese Bootsgassen!

Was für eine geniale Erfindung! Diese Bootsgassen sollte es überall geben. Nur mit ihnen kann man ein Wehr so bequem überwinden - ohne Aussteigen und Umtragen. Dabei handelt es sich um Wasserrutschen für Sportboote. Während das meiste Flußwasser das Wehr hinunterrauscht, wird der Rest in die "Rampe" umgeleitet. Mit dem Boot fährt man vorsichtig vor die Gasse, bis die starke Strömung das Boot erfaßt und mit sich nach unten zieht. Klar, daß das nur bergab ohne Probleme funktioniert. (Am besten einfach mal mit dem Mauszeiger auf die Bilder links und rechts klicken, dann seht Ihr schon, wie´s funktioniert!)

Insgesamt drei dieser segensreichen Wasserrutschen erwarteten uns auf dieser Etappe. Während wir vor der ersten noch mit zitternden Knien unser nahes Ende vor Augen hatten, waren wir nach der zweiten schon daran gewohnt, daß wir uns nach der dritten am liebsten noch eine vierte und fünfte Bootsgasse gewünscht hätten.

Das Wetter hielt sich an diesem Tag sehr bedeckt. Wegen des Niederschlags waren wir aber keineswegs niedergeschlagen. Vielmehr waren wir gespannt auf unser nächstes Quartier. Als Deutschlands schönstes Bootshaus wurde es in irgendeinem dieser Ruderfachblätter angepriesen. Welch Hohn! Höchstens von außen verdient der Fachwerkbau das Prädikat "ganz nett". Auf das Innenleben paßt das Gütesiegel "katastrophal verbaut" wie der Klemmring an die Dolle. Das liegt nicht etwa daran, daß man den Jugendraum - unser Nachtquartier - nur durch einen zugemüllten Anbau über lebensgefährliche Rampen und Stufen erreichte. Es lag vielmehr an den ekligen, spakigen Duschräumen ohne Lampe und Fenster (die wir auf Kosten der Hygiene getrost mieden) und am Klo. Wer nämlich gerade ein Geschäft in dem engen Kabäuschen erledigt hatte, mußte zum Händewaschen durchs halbe Bootshaus zum Waschbecken laufen. Unmöglich. Nundenn, das Wetter erinnerte uns noch immer sehr an Gießen. Ein lustiger Paß-Bild-Automat kam uns da gerade recht, um ein paar dumme Fotos zu schießen.


Wetzlar - Weilburg (27 km)

Alexander Carius - Einfahrt in eine Schleuse

Ohne Wehmut ließen wir Deutschlands schönstes Bootshaus hinter uns, um neue Abenteuer zu bestehen. Doch, ach, was sind schon schräg verlaufende Wehre, Stromschnellen und Steine schmeißende Kinder am Ufer, schlechtes Wetter und unfreundliche Kanufahrer gegen das Ereignis, das Millionen Teenager in die Verzweiflung und in die Arme der Kelly-Family trieb: Robbie stieg bei Take That aus. Das Ausmaß dieser Entscheidung wurde uns erst bewußt, als wir die Schlagzeilen der Zeitungen sahen. Der britische Teeny-Barde mit der Igelfrisur hatte anscheinend genug von Ruhm, Geld, schnellen Autos und was sonst noch so dazu gehört, wenn man sich vor 100.000 kreischenden Mädels auf eine Bühne stellt und Sachen singt wie "Zünd mein Feuer wieder an", "Sicher, so sicher" oder "Neugeborenes, da bin ich wieder".

Dana Carius - Ausfahrt aus einer Schleuse

Einen Moment lang überlegten wir, ob wir die ROWdies-Tour aufgrund der sich überschlagenden, epochemachenden Ereignisse nicht abbrechen sollten, um Eremiten zu werden. Zwei Dinge sprachen dagegen: Weilburg ist ein schönes Städtchen und was geht uns irgend so ein Engländer an, der, ohne auf die Minderjährigen dieser Welt Rücksicht zu nehmen, einfach sein Leben leben will. Soviel zu diesem unsäglichen Kapitel der Weltgeschichte, über das wir ganz schnell den purpurnen Mantel des Vergessens breiten wollen.

Weilburg heißt so, weil da eine Burg steht, recht unübersehbar auf einem großen Felsen. Bevor wir den erklommen, machten wir in einer Pizzeria Rast, um uns von den Strapazen des Rudertages zu erholen. Für Michael Kowalski (Kowo) sollte es ein Fiasko werden. Jener Allesfresser, Erfinder des Wortes Hunger, kapitulierte vor einer ganz normalen Super-Riesen-Familien-Wochen-Pizza (Durchmesser 40 Zentimeter) mit allem drauf, was dazu gehört. Schamerrötet kreuzte er über dem noch zu einem Drittel vollen Teller das Besteck, um sich nach Luft schnappend zurück zu lehnen.

Robbie und Kowo - zwei Sterne verblassen am Firmament, was für ein Tag. Die malerische Altstadt über dem kurvigen Lauf der Lahn konnte darob nicht mehr unser Interesse so recht wecken. Erschöpft schlummerten wir auf dem Dachboden im Bootshaus des Weilburger Ruderklubs dem nächsten Tag entgegen. (In diesem wunderschönen Bootshaus war es überdies auch hunderttausendmal gemütlicher als in Wetzlar.)


Weilburg - Limburg (38 km)

Abkürzung durch einen Tunnel

Obwohl sich der abtrünnige Robbie in der vergangenen Nacht nicht dazu entschlossen hatte, zu Take That zurückzukehren, ging am nächsten Morgen wieder die Sonne auf. Von der Stadt der Riesenpizzen fuhren wir in die Stadt des berühmten Käses, dachten wir jedenfalls. Zunächst war da aber der Tunnel, durch den die Lahn eine Abkürzung macht, anstatt umständlich um den Berg, auf dem Weilburg liegt, herumfließen zu müssen. 200 Meter geradeaus durch eine stockdunkle nasse Röhre - was für ein Erlebnis. Auf der anderen Seite lachte bereits die Sonne (über wen, ist nicht bekannt). Ihr gleißendes Licht sollte den Auftakt zu einer nicht enden wollenden Hitzeperiode bilden.

Nur dem detaillierten Lahnwanderführer, den der umsichtige Stephan zuvor organisiert hatte, ist es wohl zu verdanken, daß Alcis und Sjöfn die ROWdies-Tour unbeschadet überstanden. Alle Untiefen, Unterwasserpfahlwände, gefährliche Gegenströmungen, Schleusen und so weiter sind dort verzeichnet. Prädikat: Echt wertvoll.

Limburg

Die Sonne brüllte vom Schäfchenwolkenhimmel, zeigte sich unerbittlich im Willen, unsere Haut zu bräunen. Schleusen forderten harte Muskelarbeit. Die unzähligen Schleusen im oberen Lauf der Lahn muß jeder Freund des Wassersports selbst bedienen. Spätestens nach der zehnten Schleuse konnten wir im Schlaf die Schleusentore schließen, die Schotten öffnen und über die glitschigen Eisenleitern ins Boot zurückzusteigen. Irgendwo zwischen zwei Schleusen passierte es dann. Die Kanu fahrende Schulklasse, die schon eine ganze Zeit die Nerven der gefahrenerprobten ROWdies belastete, sorgte für Abwechslung. Des Manövrierens vollkommen unfähig, trieb ein mit drei gackernden Mädels besetztes Kanu im Lahnstrom mit. Nicht nur, daß sie ihre Paddel verloren hatten, nein sie sind auch noch gekentert beim Versuch, sie wieder einzuholen. Die ROWdies wären aber nicht die ROWdies, wenn sie nicht laut lachend vorbeigefahren wären. (Allen entsetzten Eltern sei an dieser Stelle gesagt, das Wasser war knietief.)

Vor dem Limburger Dom

Edel ist das Wort, das zum Limburger Ruderklub paßt. Nagelneu ist es, groß und schön. Die Besitzer (ebenso edle Ruderer) hielten es für nötig, eine Haus- und Besucherordnung für Übernachtungsgäste aufzustellen. Der Informationsgehalt des deutlich sichtbar ausgehängten Papiers war banal (Wenn man es schlicht auslegt, war eigentlich alles verboten). Es paßte aber perfekt zum Zahlenschloss-codierten Kraftraum (vermutlich mit goldenen Hanteln, Handtüchern aus Cashmere und Daunenmatratzen für Bodenübungen) und dem Duschraum, der nur gegen Bezahlung warmes Wasser lieferte. Wir haben es geschafft, nichts kaputt zu machen.

Limburg ist ein schönes Städtchen. Stephan Huss, Beauftragter für den Einkauf des berühmten Limburger Käses, hatte keinen Erfolg. An den unzähligen Käsetheken gab's statt verschimmelter Milch nur Achselzucken. Erst ein alteingesessener Käsehändler konnte das Problem aufklären. Wir drucken hier exklusiv seinen Tip für alle Liebhaber des herzhaften Käses: "Wer Limburger haben will, sollte es mal in der gleichnamigen holländischen Provinz probieren." Ohne Käse, aber reich an Erfahrungen, streiften wir durch die Gassen des mittelalterlichen Limburg, um das zu tun, was wir jeden Abend machen. Eine Kneipe besuchen. So ganz lange blieben wir aber nicht, schließlich stand am nächsten Tag die längste Etappe bevor. Das es auch der heißeste Tag des Jahres (37 Grad) werden sollte, war natürlich purer Zufall.


Limburg - Bad Ems (48 km)

Empfang mit kühlem (Malz-)Bier

Wir wissen jetzt, wie Schleusenwärter aussehen. Es gibt große, kleine, mit Brille, Bauch oder Bart, freundlich, grummelig - auf jeden Fall haben sie den ruhigsten Job der Welt. Mit zwei Knopfdrücken regeln sie, ob das Wasser steigt oder fällt. Zum Schleusenzählen war es aber zu heiß. Um es deutlich zu sagen: Jeder Ruderer trank an diesem Tag mindestens vier Liter Wasser, war am Ziel aber rund drei Kilo leichter. Die Strapazen, die wir auf uns nahmen, durch das sonnendurchflutete Lahntal zu keulen, kann sich niemand erklären. Es muß einfach fanatische Liebe zum Rudersport sein, ein bißchen Ehrgeiz, nicht vor den Naturgewalten kapitulieren zu wollen, und jede Menge Muskeln (auch Lachmuskeln, denn es ist ja nun nicht so, daß wir nie was zu lachen haben). Die Kilometer krochen nur so dahin, Schatten war tabu, schöne Salzringe bildeten sich dort, wo der Schweiß verdunstete. Irgendwann kam der Punkt, an dem einem alles egal ist, wenn sich die Finger nur noch mit Schmerzen strecken lassen, der Nacken krebsrot leuchtet und Leute kopfschüttelnd am Ufer stehen.

Was für ein wunderprächtiger Einfall von Landdienst Stephan Huss, der die anderen sechs am Steg in Bad Ems mit kühlem (Malz-)Bier empfing. Die Matratzen im Gästeraum des Ruderklubs waren zwar durchgelegen. Aber wen kümmert das schon nach einem solchen Tag? Unser Quartier lag übrigens genau neben der Fabrik, die den Grundstoff für die bekannten Halspastillen herstellt. Interessant, nicht wahr? So richtig Lust hatte an dem Abend niemand mehr zu irgendwas, die paar Bier von der Tankstelle waren schnell getrunken. Wir haben selten so tief und fest geschlafen.

1. Vorsitzender Andreas Schulte Herrliche Landschaften... ...und gewindete Täler



Bad Ems - Lahnstein (11 km)

Lächerlich, nichtmal ein Dutzend Kilometer warteten auf uns. Ganz entspannt fuhren wir die letzte Etappe zu dem Ort, an dem die Lahn in den Rhein mündet und der gleichzeitig Ziel und Ende der ROWdies-Tour war. Es war nicht viel kühler als am Tag zuvor, und jeder wünschte sich nichts sehnlicher, als daß die Boote möglichst schnell auf den Hänger verladen würden. Mit dem Auto fuhren wir zurück nach Bad Ems, weil wir in Lahnstein kein Quartier bekommen hatten. Dort machten wir es uns wieder auf dem Steg gemütlich. In einer Diskussion über berufliche Pläne überraschte Andreas Schulte mit der verblüffenden Aussage, später einmal "Boß" studieren zu wollen. Der Herrschaftstrieb ging wieder mit ihm durch und der erste Vorsitzende schwelgte in wirren Zukunftsphantasien. Derart erstaunliche Erkenntnisse verwundern nicht, wenn man bedenkt, daß Andreas' Schädel zwei Tage hintereinander sengender Hitze ausgesetzt war und die Hirnmasse heftig gebrodelt haben muß.

Kein Schatten weit und breit Kurz vor dem Hitzeschlag Nie den Humor verlieren!


Die ROWdies-Tour ging zu Ende. Nach unwesentlichen Querelen mit dem Autoverleih, die uns nur drei Stunden aufhielten, fuhren wir gerade noch rechtzeitig Richtung Norden. Ein Unwetter noch nie dagewesenen Ausmaßes habe die gesamte Region unter Wasser gesetzt, erfuhren wir aus dem Autoradio. Perfektes Timing - passend zu einer perfekten Tour, die zwar nicht so wild war wie die drei vorangegangenen, aber trotzdem eine echte ROWdies- Tour.

Christian Kohlhof (Artikel aus "KRR aktuell" Nr. 11, Heft 12/1995)